Zum Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler Montag, Mai 31 2010 

Der heute von seinem Amt zurückgetretene Bundespräsident Horst Köhler

Der heute von seinem Amt zurückgetretene Bundespräsident Horst Köhler

Horst Köhlers Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten schockiert Deutschland. Auslöser für seinen Rücktritt waren absichtliche Fehlinterpretationen von Aussagen, die er während eines Interview gemacht hatte. Hier der fragliche Ausschnitt:

Ricke: In der politischen Debatte wird auch darüber nachgedacht, ob das Mandat, das die Bundeswehr in Afghanistan hat, ausreicht. Brauchen wir ein klares Bekenntnis zu dieser kriegerischen Auseinandersetzung und vielleicht auch einen neuen politischen Diskurs?

Köhler: Nein, wir brauchen einen politischen Diskurs in der Gesellschaft, wie es kommt, dass Respekt und Anerkennung zum Teil doch zu vermissen sind, obwohl die Soldaten so eine gute Arbeit machen. Wir brauchen den Diskurs weiter, wie wir sozusagen in Afghanistan das hinkriegen, dass auf der einen Seite riesige Aufgaben da sind des zivilen Aufbaus, gleichzeitig das Militär aber nicht alles selber machen kann, wie wir das vereinbaren mit der Erwartung der Bevölkerung auf einen raschen Abzug der Truppen. Und aus meiner Einschätzung ist es wirklich so: Wir kämpfen dort auch für unsere Sicherheit in Deutschland, wir kämpfen dort im Bündnis mit Alliierten auf der Basis eines Mandats der Vereinten Nationen. Alles das heißt, wir haben Verantwortung. Ich finde es in Ordnung, wenn in Deutschland darüber immer wieder auch skeptisch mit Fragezeichen diskutiert wird. Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.

Es war also Köhlers erklärte Hoffnung, daß es zu einer ordentlichen Debatte über diese Fragen kommen sollte. Nachdem der Interviewer auch nach einem „neuen politischen Diskurs“ gefragt hatte, hätte für jeden klar sein müssen, daß sich seine Antwort bezüglich der Sicherung der Handelswege nicht auf Afghanistan bezog. Man hat ihn mit voller Absicht falsch interpretiert, um ihn dann für etwas „zu kritisieren“ (Sebastian Edathy) und anschließend lächerlich zu machen (Jürgen Trittin), was er so nie gesagt hatte:

Besonders sarkastisch äußerten sich der innenpolitische Fachmann der SPD-Bundestagsfraktion, Sebastian Edathy, sowie der Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Jürgen Trittin. Dieser erinnerte süffisant an den oft unglücklich formulierenden zweiten Bundespräsidenten Heinrich Lübke (1959-69) und sagte der „Süddeutschen Zeitung“, Köhler offenbare entweder Unkenntnis oder Ungeschicklichkeit. Deutschland brauche keine Kanonenbootpolitik, Köhler müsse sich korrigieren. Edathy meinte voller triefender Ironie, viele Menschen kritisierten, der Bundespräsident melde sich zu selten zu Wort; er, Edathy, wünsche sich dagegen, Köhler schwiege öfter. Der Bundespräsident habe sich einen abwegigen Diskussionsbeitrag geleistet.

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Das Testament Reinhold Schneiders Freitag, Mai 14 2010 

Warum toben die Heiden und murren die Völker so vergeblich? Die Könige der Erde lehnen sich auf, / und die Herren halten Rat miteinander wider den HERRN und seinen Gesalbten: „Lasset uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Stricke!“ Aber der im Himmel wohnt, lachet ihrer, und der Herr spottet ihrer. Einst wird der mit ihnen reden in seinem Zorn, und mit seinem Grimm wird er sie erschrecken. (Psalm 2, 1-5)

Heute, gut zwanzig Jahre nach Ende des Systemgegensatzes, ist es eine gute Idee Bücher zu lesen, die geschrieben wurden bevor in den Besatzungszonen der Westalliierten die Ära Konrad Adenauer begann, von deren „Mief“ man sich dann ab 1968 sexuell zu befreien suchte. Um Freiheit geht es auch in Reinhold Schneiders Die Heimkehr des deutschen Geistes. Über das Bild Christi in der deutschen Philosophie des 19. Jahrhunderts, das 1946 in Baden-Baden im Hans Bühler jr. Verlag erschien.

Publizistische Opposition während der NS-Zeit

Schneider (1903-1958) war, soweit es um die publizistische Auseinandersetzung mit dem politisch-ideologischen System ging, dem im Frühjahr 1933 ein beträchtlicher Teil der Deutschen zum Opfer gefallen war, der führende Kopf des Widerstandes. In der von Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg ab 1934 herausgegebenen Monatsschrift „Weiße Blätter für Geschichte, Tradition und Staat“, die ihr Erscheinen erst 1943 wegen Papiermangels einstellte, hatte er regelmäßig Buchrezensionen und Essays zu geschichtlichen und religionsphilosophischen Fragestellungen veröffentlicht, die den ideologischen Rahmen der Gleichschaltung verließen und oft sogar auch sprengten.

Auch aktuelle und von der Tagespresse diskutierte Themen wurden darin gelegentlich aufgegriffen. „Was ist eigentlich deutsch?“ Bezüglich dieser Frage, kann, zumindest in der frühen Phase, jedenfalls von Meinungspluralismus gesprochen werden. Gerade weil der offene Diskurs nicht mehr möglich war, wurde um diese Grundsatzfrage umso leidenschaftlicher gestritten, je mehr es den Kern der deutschen Identität betraf. Die Kunst bestand darin, solche Debatten aufzugreifen. Zu einem wahren Sturm im „Reichs“-Blätterwald kam es im Frühjahr 1935, nachdem es im Hagener Stadttheater bei der Aufführung eines neuheidnischen Bühnenstücks zu so heftigen Tumulten gekommen war, daß die Vorführung erst weitergeführt werden konnte, nachdem Polizei und SA die „jungen Burschen“ aus „katholischen Kreisen“ aus dem Saal entfernt hatten. Gegenstand dieses in seiner schamlosen Einseitigkeit an Rolf Hochhuts „Der Stellvertreter“ erinnernden Schauspiels war die geschichtliche Auseinandersetzung zwischen Reichsgründer Kaiser Karl dem Großen und Sachsenherzog Widukind, — die Hauptrolle.

Dieser Angriff aus der Feder eines Anhängers der Ludendorff-Bewegung richtete sich gegen die römisch-katholische Kirche. Für die „Weißen Blätter“ die Gelegenheit Stellung zu beziehen! Die Februarausgabe brachte in der Rubrik „Stimmen und Urteile“ zwei Nachdrucke aus der „Germania“ zum Ablauf der Drama-Vorführung und zur Verteidigung der Heiligsprechung Karls durch Friedrich Barbarossas Gegenpapst Paschalis III., und von Reinhold Schneider erschien eine Würdigung des im Vorjahr erschienenen Geschichtswerks der Dichterin Ricarda Huch, in der er mit spitzer Feder die „Aktualisierung der Geschichtsbetrachtung und Darstellung in den letzten Jahren“ diskutierte und als Leitartikel seine Abhandlung zum „Gotteserlebnis der Völker“. Sich darin direkt gegen den Nationalsozialismus zu stellen ging nicht. Schneiders Weckruf war gleichwohl deutlich erkennbar. Wer damals las, jeder an ein besonderes „Gottesträgervolk“ gebundener Zugang zu Gott müsse dazu führen, daß zwar „fort und fort von Gott die Rede ist“, jedoch wie „von einem Toten“, der wußte natürlich, daß es dem Autor weder um die am Rande erwähnten „Araber“ ging noch gar um das „russische Volk“. Daß in der Sowjetunion damals niemand versucht sein konnte, diesem falschen Gottesbegriff zu verfallen „ohne ihn zu durchschauen“ war offenbar, weil Gott dort ja gerade nicht „mitten im Tagesgeschehen gegenwärtig, in den politischen Entscheidungen, selbst im Staate“ war.

Die Botschaft derart prompt und klar zu vermitteln gelang freilich nicht immer. Mitunter gab es auch Beiträge, in denen Begriffe und Denkmuster aus der NS-Propaganda wiederkehrten, so daß sie der Leser von heute schon sehr aufmerksam lesen und durchdenken muß, wenn er sie richtig deuten können möchte. Begriffen sein will dabei auch, welchen Wert das legale Erscheinen dieser Zeitung für die Opposition hatte: mit der deutschen Geschichte als breiter Themensetzung konnten traditionsverbundene Katholiken und gläubige Protestanten gleichermaßen angesprochen werden. Nur so konnte in die Mileus beider großer Konfessionen hineingewirkt werden, um über den Vertrieb Netzwerke knüpfen und inhaltlich-konzeptionell auf eine gemeinsame Ebene hinarbeiten zu können. — — —

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Der Multikulturalismus als Deckmantel eines religiös verbrämten Rassismus Dienstag, Mai 4 2010 

Die Rheinische Post berichtet heute von einer Rassismusklage des Kongolesen Bienvenu Mondondo gegen eine Ausgabe des belgischen Comics Tim und Struppi. Die darin erwähnte Ausgabe von 1931 würde bestimmt zeigen, daß in dieser Zeit keineswegs nur in Deutschland eine geistige Strömung vorherrschte, die man heute als übelsten Rassismus brandmarken würde. Hintergrund war, daß die Anthropologie damals ihren Durchbruch hatte, was dann in neuheidnisch-religiösen Verbrämungen wie etwa der Anthroposophie seinen Niederschlag fand.

Tim und Struppi

Tim und Struppi werden verklagt

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Die deutsch-französische Bruchlinie am Beispiel der Währungsunion Dienstag, Mai 4 2010 

Ein AFP-Bericht, wie ihn Australier lesen:

  • Für Italien ist Deutschland schuld, weil Merkel mit der Zustimmung zu den Hilfen zu lange gezögert habe und die Krise durch das Zögern verschlimmert worden sei (Außenminister Frattini).
  • Bundeskanzlerin Merkel wird so wiedergegeben, daß es notwendig sei, im Zuge der Krise den EURO-Stabilitätspakt so zu „konfigurieren“, daß er nicht mehr unterminiert werden könne und daß er strikt eingehalten werde.
  • Der niederländische Finanzminister de Jager spricht sich für „neue und stirktere Abmachungen“ aus und unterstützt somit quasi die deutsche Position.
  • Bei unseren französischen Freunden spricht sich die Finanzministerin Lagarde für „striktere Regeln bei öffentlichen Ausgaben“ aus und „erneuert ihre Kritik an der Exportorientierung der deutschen Wirtschaft“, es gelte „Wettbewerbsfähigkeit und die finanzielle Stablilität“ mit einem „Mikroskop“ zu „überwachen“, dem Auseinanderdriften zwischen „der Exportorientierung der deutschen Wirtschaft und dem wachsenden Schuldenproblem der der Länder der Eurozone Griechenland, Portugal und Irland“ müsse mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden; sie meint Änderungen am EU-Stabilitäts- und Wachstumspakt würden seit Jahren diskutiert, findet aber, daß die Krise in Griechenland die Dringlichkeit der Debatte erneuert habe; sie wendet sich gegen die Meinung, daß es in Spanien und Portugal, trotz deren hoher Defizite, zu Krisen kommen würde, die mit denen Griechenlands vergleichbar sein, diese Länder seien in einer völlig anderen Situation, weil sie keine falschen Zahlen zu ihren Defiziten geliefert hätten.

Ein „Hurra!“ auf die deutsch-französische Freundschaft, möchte man mit bitterer Ironie hier sagen.

Eurokrise

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Zur Medienkampagne gegen Bischof Walter Mixa Montag, Apr 19 2010 

Der Augsburger Bischof Walter Mixa und Claudia Roth, die Führerin des zeitgenössischen Neuheidentums

Der Augsburger Bischof Walter Mixa und Claudia Roth, die Führerin des zeitgenössischen Neuheidentums

Der Schweizer Medienunternehmer Frank A. Meyer bringt heute bei Cicero, dem „Magazin für politische Kultur“, einen Kommentar zur aktuellen Medienkampagne gegen den Augsburger Bischof Walter Mixa. Vorderhand scheint diese sich zwar nur gegen die Römisch-Katholische Kirche zu richten, letztlich zielt sie aber ebenso gegen evangelische Christen. Man muß aber nicht mal Christ sein, um zu erkennen, daß sich der Autor besser entschieden hätte, ob er nun lustig sein will oder tatsächlich etwas sagen möchte. Beides zugleich geht eben nicht und normalerweise sollte man Kommentare, die schon mit populistisch auf die Kirche projezierten Versatzstücken der Genderideologie beginnen, erst gar nicht zu Ende lesen.

Dennoch: Herr Meyer hat richtig erkannt, daß die sog. „vierte Macht“ im Staate sehr deutliche Gelüste zeigt, künftig bei der Benennung und Absetzung von Bischöfen entscheidend mitreden zu wollen — das Stichwort „Investiturstreit“ bringt er selbst — und so die Domäne der Mediokratie auszuweiten. Denn daß die Süddeutsche Zeitung wegen ein paar dummen, möglicherweise sogar verdienten Ohrfeigen nie einen derartigen Zirkus veranstalten würde, ist nun wirklich für jeden offenbar. Daher wird sich Frank A. Meyer auch damit abfinden müssen, daß Bischöfe in der Römisch-Katholischen Kirche allein vom Papst ernannt und abgesetzt werden. Das neuheidnische Fräulein Claudia Roth hat nicht mal ein Mandat hier mitzureden, solange sie nicht offiziell als Gegenpäpstin inthroniert wurde.

Polen wehrt sich gegen Präsidenten-Beisetzung in Königsgrab Donnerstag, Apr 15 2010 

Seit gestern wehrt sich Polen gegen die Beisetzung seines bei einem Flugzeugabsturz in Rußland vor wenigen Tagen ums Leben gekommenen polnischen Präsidenten Kaczynski. „Wawel gehört den Königen“ und „Wawel vor Schändung bewahren“ steht auf ihren Transparenten.

Grablege König Kasimirs II. in Wawel

Grablege König Kasimirs II. in Wawel

Manchmal sorgen tragische Zufälle für Wendungen, die niemand hätte vorhersehen können. Vielleicht leitet diese Mißachtung der Würde der polnischen Könige nun ja die Restauration ein?

Wolfgang Benz zum „Widerstand“ im Exil Mittwoch, Apr 7 2010 

Dr. Wolfgang Benz, "Historiker" und Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung

Dr. Wolfgang Benz, "Historiker" und Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung

Unter dem dialektisch anmutenden Titel Widerstand im Exil — Exil als Widerstand gibt es eine Arbeit des umstrittenen Antisemitismusforschers Wolfgang Benz. Es wäre sicher ungerecht, wenn man die darin aufgeführten Personen als Vaterlandsverräter bezeichnen würde. Aber deren Tätigkeit im Ausland als „Widerstand“ einzuordnen, ist schlicht unredlich — zumal es dort ja keinerlei Gefahren für sie gab! Zu kritisieren ist auch sein undifferenziertes Schönreden der deutschtümelnden Revolution von 1848, die schließlich auch vom Nationalsozialismus hochgejubelt (siehe hier und hier) wurde. Hier wenigstens ansatzweise zwischen Licht und Schatten zu unterscheiden müßte bei ihm als „Historiker“ doch eigentlich ein innerer Drang sein. An sich ein Armutszeugnis für die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, daß man diese Arbeit in das Publikationsverzeichnis aufgenommen hat.

War der neuheidnische NS-Staat die Erfüllung der Revolution von 1848? Sonntag, Apr 4 2010 

Einer unserer Leser hat angemerkt, daß man bei der Jungen Freiheit Schwierigkeiten mit der Position hat, daß „der NS-Staat die Erfüllung der Revolution von 1848 gewesen“ sein müsse.

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Gedanken zur Geschichtspolitik anläßlich der Predigt Bischof Müllers in Regensburg Mittwoch, Mär 31 2010 

Das Erinnern des Regensburger Bischofs Gerhard Ludwig Müller an die Demonstrationen des katholischen Frauenbundes in Regensburg und Amberg im Jahre 1941 anläßlich der im Zusammenang mit den bekannt gewordenen weit zurückliegenden Mißbrauchsfällen gegen die Kirche gerichteten Medienkampagne hat einiges an Empörung hervorgerufen. Es hieß, es brächte nichts hier mit „NS-Vergleichen“ zu argumentieren und gehöre sich vor allem auch nicht.

Nur was ist eigentlich ein „NS-Vergleich“? — Gemäß StGB §130 handelt es sich dabei um das Verharmlosen einer „unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art“. Nachdem die Kampagnen der damals gleichgeschalteten Presse darin nicht aufgeführt sind, kann bei der Predigt Bischof Müllers auch keine Rede von einem „NS-Vergleich“ sein; allein darauf hatte er sich ja bezogen. Es kann somit bei dieser Empörung nur darum gehen, daß man der römisch-katholischen Kirche keine eigenständige Wortmeldung zur Lesart der deutschen Geschichte zugestehen möchte.

Wohl immer schon und überall war die Deutung der Geschichte ein heiß umkämpftes Thema. Der Grund ist, daß darin das Selbstverständnis einer Gesellschaft zum Ausdruck kommt und auf dem Wege der Geschichtsdeutung somit auch indirekte Weichenstellungen in die Zukunft vorgenommen werden. Begreift man diese Weichenstellung als alleinige Domäne der Politik, so wird man freilich zu dem Schluß gelangen, daß die Kirche keinerlei Anrecht auf derartige Wortmeldungen haben könne. — Ist es aber verantwortbar, die primär an kommerziellen Interessen ausgerichteten Medien selbstherrlich über die hierzu veröffentlichte Meinung bestimmen zu lassen?

Um vergleichbare Fragen wurde auch in der Anfangszeit der NS-Herrschaft gestritten. Im Frühjahr 1935 hatte ein Vortrag des nationalliberalen Historikers Hermann Oncken „über die Wandlungen des Geschichtsbildes in revolutionären Epochen“ zu heftigen, persönlichen Angriffen durch Walter Frank im „Völkischen Beobachter“ gegen ihn geführt. Der Streit drehte sich damals darum, daß Oncken die von den Nationalsozialisten seinerzeit offen propagierte „kämpferische Geschichtswissenschaft“ in Frage gestellt hatte. Oncken vertrat, daß es durchaus eine objektive Geschichtswissenschaft gibt. Er stelle sich somit gegen die politische Vereinnahmung der Wissenschaft und verlor am Ende seine Professur.

Auf den ersten Blick scheinen die repressiven Vorfälle von 1935 und die des Jahres 2010 nichts miteinander zu tun zu haben. Wo es heute um die Freiheit des bischöflichen Wortes auf der Kanzel geht, ging es damals um die Freiheit der Wissenschaft. Eine Gemeinsamkeit gibt es dennoch: sie liegt darin, daß in beiden Fällen ein politisch motivierter Angriff auf die Vielfalt der veröffentlichten Meinung vorliegt und daß zutiefst kirchenfeindliche Kräfte die Wortführer sind.

Wie die Nationalsozialisten zur Revolution vom März 1848 standen Montag, Mär 29 2010 

Revolution vom März 1848

Revolution vom März 1848

Wie die Nationalsozialisten zur Revolution vom März 1848 standen, kann man sich aus diesem, im April 1938 als Nachdruck aus der Kölner Zeitung — also wenige Tage nach dem sog. Anschluß Österreichs erschienen, Artikel erschließen: Die Nationalsozialisten haben den deutschtümelnden März damals ohne Ende bejubelt. Der Bericht des nachmaligen Kaiser Wilhelms I. zur Märzrevolution, stand in der Ausgabe vom März 1938. Die Weißen Blätter waren in jeder Hinsicht restaurativ. „Konterrevolutionär“ waren sie  höchstens in dem Sinne, daß die Nationalsozialisten sich als Revolutionäre verstanden. Der 30. Januar 1933 wurde von ihnen nicht umsonst als „nationale Revolution“ bezeichnet : sie sahen sich als Weiterführung der Revolution von 1848 und bezeichneten folglich auch ihre Gegner als „reaktionär“.

Hitler in Wien nach dem sog. Anschluß Österreichs im März 1938

Hitler in Wien nach dem sog. Anschluß Österreichs im März 1938

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