Von Reinhold Schneider
Die erschreckenden Gerüchte, die am vergangenen Abend noch den Herzog erreicht hatten, bestimmten ihn doch nicht, seine Reise abzubrechen: im Hause des Amtsmanns, der einem seiner abseitigsten, im Thüringer Walde versteckt liegenden Ämter vorstand, hatte der Landesherr, nachdem er, wie es seine Gewohnheit war, zwei der vier brennenden Kerzen ausgelöscht, den aus Gotha gesandten Bericht seines getreuen Kanzlers Avemann durgelesen, aus dem zum erstenmal, ebenso plötzlich wie furchtbar, das Gesicht gegen das Reich heranstürmender Türkenheere aufstieg. Zwar hatte Avemann nur von Gerüchten geschrieben: aber er war zu gewissenhaft, als daß er leeres Gerede wiedergegeben oder ein überprüftes Gerücht verschwiegen hätte; das nach dem Dreißigjährigen Kriege völlig erschöpfte Reich, in dem auch die in langen Erfahrungen geschulte kaiserliche Militärmacht nur ein geringes Ansehen behauptete, mußte als eine leicht zu erringende Beute vor den Angreifern liegen; und waren erst die kaiserlichen Lande überrannt, so lag Deutschland, von den Händen unzähliger Herren und Gewalthaber zerfetzt, durch den Glaubenszwist bis ins Innerste zerspalten, wehrlos da, und ein Elend, vor dem das Grauen der eben abgezogenen dreißig Jahre vielleicht noch als ein glücklicher Zustand erscheinen konnte, mußte heraufziehen. Aber es war eben diese Erwägung, daß dann nicht nur Leib und Leben und alles ererbte Gut, auch nicht das Bekenntnis, sondern der Glaube an Christus selbst untergehen würde, die den Herzog wieder mit Vertrauen erfüllte; er konnte nicht glauben, daß Gott diese Vernichtung des Heils geschehen lassen und dem Leben selbst und dem gebrachen entsetzlichen Opfern ihren Sinn nehmen würde. Also hatte er am Morgen getröstet das Haus des Amtsmanns verlassen: sollten die ersten Gerüchte sich bestätigen, so mußten alle erdenklichen Abwehrmaßnahmen unverzüglich ergriffen werden, ob auch der Türke erst gegen die ungarische Grenze störmen mochte; bis zum Eintreffen neuer Nachrichten blieb vielleicht noch ein Tag; und da der Herzog höchst ungern einen seiner lang durchdachten Pläne durchbrach, so entschloß er sich, das letzte Dorf, das für die Inspektionsreise vorgesehen war, noch zu besichtigen, und am Abend, oder in der Nacht, früher als er es sich vorgenommen, in Gotha zu sein, wohin der Befehl an den Kanzler ergangen war, den Herrn auch zu spätester Stunde im Schloß zu erwarten.
Ernst der Fromme (1601-1675)
(mehr …)
2 Responses »